Großes Werk in Dortmund schließt Rentable Produktion nicht möglich - „Das tut jedem weh“

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Werksleiter Detlef Mücke (l.) und Betriebsratsvorsitzender Rainer Sonn (r.) bleibt nur, die Entscheidung ihrer Konzernzentrale zu verkünden, dass die Produktion in Dortmund zum Jahresende eingestellt wird. Betroffen sind knapp 100 Beschäftigte.
Werksleiter Detlef Mücke (l.) und Betriebsratsvorsitzender Rainer Sonn (r.) bleibt nur, die Entscheidung ihrer Konzernzentrale zu verkünden, dass die Produktion in Dortmund zum Jahresende eingestellt wird. Betroffen sind knapp 100 Beschäftigte. © Peter Wulle
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Man muss schon genau hingucken, um auf dem Musterbogen zu erkennen, was da eigentlich in der Fertigungshalle von Alps Alpine an der Giselherstraße in Wickede produziert wird. Es sind Tastschalter, teilweise nicht viel größer als die Spitze eines Kugelschreibers.

„Wir produzieren die Schalter, die hinter den Bedienblenden sitzen – egal ob an der Waschmaschine, der Hifi-Anlage oder im Auto“, sagt Werksleiter Detlef Mücke. 50 Millionen Tastschalter pro Monat wurden vor einigen Jahren in Wickede hergestellt, heute sind es 20 Millionen pro Monat – und bald gar keine mehr. Das Werk, das zur japanischen Alps Alpine Gruppe gehört, schließt am 31. Dezember dieses Jahres.

„Ein seit mehreren Jahren bestehendes, schwieriges Marktumfeld sowie die Auswirkungen der aktuellen Energiekrise vor dem Hintergrund des Kriegs in der Ukraine haben in der Unternehmenszentrale in Tokio zu der Entscheidung geführt, die Produktion in Deutschland einzustellen“, sagt Detlef Mücke. Eine rentable Fortführung der Produktion sei einfach nicht mehr zu wettbewerbsfähigen Preisen möglich.

Schwierige Verhandlungen

Dem Werksleiter gehen diese Sätze schwer über die Lippen. Er ist froh, dass der Betriebsratsvorsitzende Rainer Sonn neben ihm sitzt. Gemeinsam habe man einen guten Sozialplan für die 97 Beschäftigten abgeschlossen.

„Es waren schwierige, aber faire Verhandlungen. Die Schließung war nicht zu verhindern, aber es wurden sozialverträgliche Lösungen gefunden“, sagt Rainer Sonn. Es gibt Hilfen, es gibt Abfindungen und fünf Zeitverträge werden verlängert, damit die Betroffenen erstmal noch weiter beschäftigt werden können.

Aber ob Ingenieur, Techniker, Facharbeiter, Angelernter oder Kaufmann, alle müssen sich nun neue Jobs suchen. „Alle treffen aber auf eine günstige Arbeitsmarktlage in Dortmund. Überall werden Leute gesucht, etliche werden schon im Juni bei einem neuen Arbeitgeber beginnen“, so Detlef Mücke.

Er selbst geht allerdings ebenso wenig auf Jobsuche wie der Betriebsrats-Chef Rainer Sonn. Detlef Mücke ist 64 Jahre alt, Rainer Sonn 65. Sie gehen beide in Rente. „Glück gehabt!“, hören sie oft und schütteln dann energisch den Kopf.

„Nein“, sagt Detlef Mücke, der das Werk seit 2002 leitet, „dieses Ende hier tut jedem weh, auch uns und den anderen Kolleginnen und Kollegen, die in Rente gehen. Wir hätten doch lieber einen gut laufenden Betrieb übergeben.“

So klein und so wichtig: Tastschalter für die Automobilbranche, für Unterhaltungselektronik oder auch für Küchengeräte, wie sie bei Alps Alpine in Dortmund gefertigt werden.
So klein und so wichtig: Tastschalter für die Automobilbranche, für Unterhaltungselektronik oder auch für Küchengeräte, wie sie bei Alps Alpine im Wickeder Werk gefertigt werden. © Peter Wulle

Dass das in den vergangenen Jahren nahezu unmöglich wurde, wird deutlich, wenn man sich die Rahmenbedingungen anguckt. Die sich vervielfachenden Kosten für Gas und Strom kamen für das Dortmunder Werk der Alps Alpine Europe GmbH in den vergangenen Monaten nur erschwerend hinzu.

Schon lange spielt die Musik in dieser Branche in Asien. „Elektronikkomponenten werden hauptsächlich in Asien benötigt und produziert. Dort wird monatlich das 20-fache von dem hergestellt, was wir derzeit produzieren“, sagt Detlef Mücke.

Konkurrenz durch Touch Panels

Trotzdem: das Werk in Wickede war lange sehr effizient – und lieferte sogar ein Drittel seiner Tastschalter nach Asien. „Es macht aber einfach ökologisch und ökonomisch keinen Sinn mehr, erst Rohstoffe aus Asien hierher zu holen und dann die fertigen Produkte wieder zurück zu liefern“, sagt Detlef Mücke. Und Kunden wie Grundig, Telefunken oder Philipps, die gebe es in Deutschland und Europa eben schon lange nicht mehr. Außerdem bekomme der gute, alte Tastschalter auch immer stärkere Konkurrenz durch Touch Panels, also durch auf Berührung reagierende Oberflächen.

Wehmütig blicken Detlef Mücke und Rainer Sonn im Büro der Werksleitung auf den sorgfältig hinter Glas eingerahmten, ersten Schalter, der in Wickede produziert wurde. „4. Juli 1990“ ist dazu als Datum vermerkt. Der letzte wird nun irgendwann um Weihnachten herum gefertigt werden. „Bitter“, sagt Detlef Mücke, „wir haben hier gute Arbeit geleistet.“

Wie gerne würde er als Rentner zusammen mit Rainer Sonn demnächst „auf ein Käffchen“ vorbei kommen und mit den ehemaligen Kollegen quatschen. „Das würden wir als Glück empfinden, aber das geht nun nicht“, sagen beide. Antreffen werden sie ab dem nächsten Jahr auf dem riesigen Gelände an der Giselherstraße wohl nur LKW-Fahrer und Lagermitarbeiter. Der Standort soll zu einem reinen Logistikzentrum der jetzt schon dort ansässigen Alps Logistics Europe GmbH ausgebaut werden.

Das Grundstück gehört schließlich dem japanischen Konzern und Dortmund ist als Logistikstandort durchaus attraktiv. Von hier könnten alle Produkte von Alps Alpine, die in Europa verkauft werden, verteilt werden. Der Konzern hat in Europa 450 Mitarbeiter und drei weitere Produktionsstandorte in Tschechien, Ungarn und Irland.

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