
Nach über 30 Jahren ist jetzt bekannt geworden, dass ein heute emeritierter Pfarrer, der seinen Ruhestand in Rhede verbringt, in seiner Zeit in Bocholt einen 18-Jährigen sexuell bedrängt hat. Das Bistum wusste von dem Fall, Pfarrer Thorsten Schmölzing von der St.-Gudula-Gemeinde Rhede zuvor nicht.
Pastor Josef Lehmbrock hat dem Bischof seinen Rücktritt angeboten und wird keine Gemeindegottesdienste mehr feiern. Das hat er am Sonntag am Ende der Sonntagsmesse in St. Gudula mitgeteilt. Der Grund dafür liegt über 30 Jahre zurück: Wie jetzt bekannt wurde, hat Lehmbrock sich 1988/89 in seiner damaligen Position als Pfarrer der Bocholter Gemeinde St. Paul einem 18-Jährigen sexuell genähert.
Der Betroffene hatte sich im Juni vergangenen Jahres bei Pfarrer Thorsten Schmölzing gemeldet. Lehmbrock habe seine Schuld eingestanden und ein Rücktrittsgesuch gestellt, sagt Schmölzing. Bischof Dr. Felix Genn nahm es an, erlaubt Lehmbrock aber, in Absprache mit dem leitenden Pfarrer weiter Taufen, Trauungen, Beerdigungen oder Schützenfestgottesdienste zu zelebrieren, wenn Gemeindemitglieder ihn ausdrücklich dafür anfragen.
Keine Vergewaltigung
Die Vorfälle in Bocholt seien keine Vergewaltigungen gewesen, „aber auch mehr als in den Arm nehmen“, sagt Schmölzing. Der Interventionsbeauftragte des Bistums, Peter Frings, nennt es „grenzverletzendes Verhalten“, das „einem Priester völlig unangemessen“ sei. Das Bistum war darüber allerdings seit 28 Jahren informiert. 1995 hatte sich der Betroffene erstmals in Münster gemeldet, berichtet Schmölzing, der das selber jetzt erst erfahren hat. Damals gab es ein Gespräch mit Lehmbrock, einem Bistumsvertreter und dem Opfer. Anschließend war das Thema für die Kirchenfunktionäre erledigt.
Nachdem im Bistum Strukturen zur Aufarbeitung von Missbrauchsfällen geschaffen worden waren, meldete sich der Betroffene vor zehn Jahren bei der Missbrauchskommission. Sie habe sich nicht zuständig gefühlt, weil der Betroffene zur Tatzeit schon volljährig war, berichtet Schmölzing. Die Kommission gab den Hinweis weiter an den Personaldezernten, der ihn offenbar nur abheftete.
Späte Information
Drei Jahre später – 2015 – fragte Pfarrer Thorsten Schmölzing bei demselben damals immer noch zuständigen Domkapitular an, ob irgendetwas gegen den Einsatz von Josef Lehmbrock als Seelsorger spreche. Damals war Lehmbrock in Bocholt nach 33 Jahren als Pfarrer von St. Paul emeritiert worden und wollte seinen Ruhestand in Rhede verbringen. Gegen ihn liege in Münster nichts vor, lautete die Antwort. Es ärgere ihn, dass ein kirchlicher Mitarbeiter ihm „nicht mitgeteilt hat, was er wusste“, sagt Schmölzing. „Diese Erfahrung hat mein Vertrauen in die Kirche verändert.“
Lehmbrock hielt in Rhede fortan Gemeindegottesdienste und wurde oft für Beerdigungen eingesetzt. Es dauerte weitere sieben Jahre, ehe der leitende Rheder Pfarrer von der Vorgeschichte erfuhr. Im Juni 2022 hatte er mit dem Betroffenen in einer völlig anderen Sache Kontakt, die mit dem Geschehen in Bocholt nichts zu tun hatte. Bei dieser Gelegenheit erkundigte sich der Mann bei Schmölzing, ob sich noch weitere Betroffene gemeldet hätten.
Bistum hat dazugelernt
Nachdem er endlich von dem Fall erfahren hatte, kontaktierte der Pfarrer den Interventionsbeauftragten. Aus heutiger Sicht sei der Umgang des Bistums mit den Vorfällen in den 80er-Jahren unzureichend gewesen, räumt Frings ein. „Würde Pfarrer Schmölzing heute die Anfrage an das Bistum richten, die er 2015 auf den Weg gebracht hat, dann hätte er eine andere Antwort erhalten.“ Hier hätten die Verantwortlichen des Bistums dazugelernt. So wie es gelaufen sei, habe Schmölzing sieben Jahre lang „auf einem Kuckucksei gesessen“.
Gleich im ersten Gespräch mit Frings und Schmölzing habe Lehmbrock die Vorwürfe bestätigt, die Taten bereut und sich bereit erklärt, die Konsequenzen zu ziehen. Er wolle der Pfarrei und Schmölzing nicht schaden und sich aus seiner Arbeit als Seelsorger komplett zurückziehen, so seine Reaktion.
Gemeinde selbst informiert
Es sei sehr ungewöhnlich, dass jemand so offen zu seinem Fehler stehe, sagt Frings, der es sonst nach eigenen Worten oft mit „maximal uneinsichtigen Leuten“ zu tun hat. Der 82-jährige Lehmbrock habe selbst die Gemeinde informiert und das nicht Schmölzing zumuten wollen. Das zeuge von menschlicher Größe und verdiene Respekt. Wenn jemand seine Schuld eingestehe und ehrlich bereue, „dann entspricht es unserer christlichen Haltung, dass er dann weiter einen Platz unter uns haben darf“, sagt Schmölzing. „Für mich ist selbstverständlich, dass Pastor Lehmbrock weiterhin Teil unserer Gebetsgemeinschaft bleiben kann, indem er als Gemeindemitglied Gottesdienste mitfeiert.“ Auch bei ihm im Pfarrhaus sei er herzlich willkommen.
Anders als Lehmbrock hat der damals zuständige Personaldezernent, der heute noch in anderer Funktion im Kirchendienst ist, keinen Fehler eingestanden, sondern sich einen Anwalt genommen. Juristisch habe er 2015 korrekt gehandelt, weil gegen Lehmbrock kein Dekret des Bischofs vorlag, sagt Schmölzing. Die juristische Frage sei beim Thema Missbrauch aber der kleinste Aspekt. „Er hat 90 Prozent des Phänomens nicht erfasst und uns in die Situation gebracht, in der wir jetzt sind.“ Seine Erfahrung aus der Aufarbeitung anderer Missbrauchsfälle sei: „Es hilft nur Transparenz“, sagt Schmölzing. Und an der Transparenz, „die ich erwartet habe und die ich mir bis heute wünsche“, habe es der damalige Domkapitular bei seiner Antwort mangeln lassen.